Fachaufsätze schreiben
von Prof. Jürgen Plate

Über das Schreiben von Fachaufsätzen und -Büchern

Für einige Techniker ist die Aufgabe, einen technischen Bericht zu schreiben, mehr Qual als Freude. Solche Techniker werden argumentieren, dass ihre Befähigung zum Beispiel in der Entwicklung elektronischer Schaltungen und nicht in literarischen Ergüssen liegt und dass ihre Schaffenskraft besser mit einer neuen Entwickung genutzt wird, als über eine frühere zu schreiben. Diese Auffassung ist verständlich, würdigt aber nicht den Wert technischer Berichte. Im nachfolgenden Beitrag gebe ich nützliche Hinweise für das Erstellen von Fachaufsätzen.

Es gibt viele Gründe, warum das Schreiben von Fachaufsätzen nicht allzu beliebt ist; zum Beispiel könnte ein Ingenieur glauben, dass ihm ein literarisches Meisterstück abverlangt werde und das Schreiben nicht gerade seine Stärke sei. Der Denkfehler ist hier, dass technische Literatur nicht wegen der Schönheit der Sprache geschrieben wird. In Wirklichkeit erfüllt sie einen äußerst nützlichen Zweck - nämlich eine möglichst klare und präzise technische Information zu vermitteln. Der Inhalt ist wichtiger als der Stil.

In der Weltliteratur ist dagegen die Schönheit der Ausdrucksweise das Hervorstechendste; d. h. der Stil ist wichtiger als der sachliche Inhalt. Zum Beispiel könnte "Macbeth" von Shakespeare in wenigen Seiten wiedergegeben werden: aber ohne Shakespeares Stil wäre die Geschichte langweilig. Solche Literatur ist zur Unterhaltung geschrieben; Fachaufsätze müssen dagegen informieren (Schüler werden dieser Unterscheidung vermutlich nicht ganz zustimmen...). Obwohl in der technischen Literatur also der sachliche Inhalt im Vordergrund steht, sollte der Stil nicht als un- wichtig betrachtet werden, da von ihm die Lesbarkeit und damit die Verständlichkeit des technischen Inhaltes abhängen. Ein großer Teil dieses Beitrages befaßt sich daher auch mit Stilfragen.

Definition des Inhalts

Eine zweite Schwierigkeit beim Schreiben von Fachaufsätzen ist die exakte Definition des Inhalts. Ein Ingenieur, der einen Verstärker bauen soll, kann damit nicht anfangen, solange er nicht weiß, was für ein Verstärker gebraucht wird; er muss zum Beispiel erst einmal wissen, wie groß Verstärkung, Ausgangsleistung, Lastwiderstand, Frequenzbereich und zulässiger Klirrfaktor sein sollen. Eine solche genaue Definition wird beim Erstellen von Fachaufsätzen dagegen oft vergessen.

Die Spezifikation eines Fachaufsatzes ist genauso wichtig wie die eines technischen Gerätes. Zunächst einmal muss man genau definieren, was beschrieben werden soll; wenn gewisse Teilprobleme nicht abgehandelt werden, so muss das auch gesagt werden.

Ebenso wichtig ist es, sich zu überlegen, für wen der Aufsatz eigentlich geschrieben werden soll. Wer braucht die so sorgsam erarbeitete Information? Wie sieht es mit der technischen Vorbildung der Leser aus? Das hat großen Einfluß auf das technische Niveau und den Stil des Fachaufsatzes. Auch sollte sich der Autor Gedanken über den Zweck des Aufsatzes machen; oft dient er "nur" dazu, technische Information zu vermitteln, aber es gibt auch andere Möglichkeiten: Ein Forschungsbericht kann z. B. zwei Arten einer Problemlösung vergleichen und gezwungen sein, eine Aussage darüber zu machen, welche besser ist. Die wichtigste Frage ist: "Wer möchte warum diesen Fachaufsatz lesen?"

Die Frage läßt sich leicht beantworten, wenn jemand z. B. ein Buch über ein bestimmtes Problem schreibt und sich an Studenten mit einer gewissen Vorbildung wendet. Ebenso wendet sich ein interner Forschungsbericht meist an Leser, die eine dem Autor ähnliche Vorbildung haben. Technisches Schreiben wird dagegen äußerst schwierig, wenn das Alter, der Wissensstand und die Erfahrung der Leser nicht bekannt sind. Das einzige, was wir über unsere Leser wissen, ist, dass sie sich für ein bestimmtes Fachgebiet interessieren. Also ist es schon einmal günstig. dem Aufsatz einen "fachlichen Hauch" zu verleihen.

Eine weitere Schwierigkeit für technische Autoren ist manchmal, keine genauen Vorstellungen vom Zweck des Aufsatzes zu haben. Wenn beispielsweise Studenten einen Bericht über ihr Praktikum oder über Laborversuche schreiben müssen, so geschieht das sicher nicht für die Lehrer oder Dozenten und für andere Studenten auch nicht weil diese nämlich meistens nach der Vorlesung keine Lust mehr haben, diese Berichte noch einmal anzuschauen. Und auch sonst will sich niemand finden, der die Praktikumsberichte lesen möchte. Immerhin üben sich die Studenten dadurch aber im Schreiben von Fachaufsätzen und überhaupt in der Fähigkeit, geleistete Arbeit schriftlich zu dokumentieren.

Die Struktur des Aufsatzes

Wenn er einmal weiß, was worüber geschrieben werden soll, kann der Autor beginnen, das Material für den Aufsatz zusammenzutragen. Das kann einige Zeit dauern, weil er u. U. gezwungen ist, Fachbücher oder andere Literatur zu konsultieren, oder Experten zu sprechen. Versuchsschaltungen aufzubauen oder Messungen durchzuführen. Wenn das geschehen ist, müssen die Fakten irgendwie geordnet werden, d. h. alles, was zu einem bestimmten Teilaspekt gehört, muss zu einer Gruppe zusammengefaßt und die einzelnen Gruppen müssen so aneinander Fefegefügt werden, dass sie eine sinnvolle Reihenfolge ergeben. Es gibt viele Wege, das zu tun; der naheliegendste ist, seine Ideen zu Papier zu bringen und die beste Reihenfolge durch Einfügen, streichen und Verschieben von Textteilen zu erreichen. Gewöhnlich wird der Text dadurch holprig, und man muss ihn einige Male überarbeiten, bis das Ganze vernünftig aussieht. Eine zweite Methode ist, die einzelnen Sachgruppen auf Karten oder Zettel zu schreiben, die nach Belieben "gemischt" werden können. Während der Autor bemüht ist, die technischen Fakten sinnvoll in seinem Fachaufsatz zu ordnen, richtet er normalerweise kaum ein Augenmerk auf den Stil, weil sich dieser ja später auf Vordermann bringen läßt. Die zufriedenstellendste Struktur ist gewöhnlich die, die eine logische Folge der einzelnen Ideen enthält. Die Suche nach einer solchen Ordnung hat eine Reihe von nützlichen Konsequenzen:

Manche Autoren teilen ihre Arbeit in fünf oder sechs "Ebenen" von Zwischenüberschriften ein. Das ist zwar für den Autor nützlich, der damit seine Gedankengänge ordnet; in der endgültigen Ausarbeitung sind derart viele Überschriften-Ebenen ungünstig, weil sie den Leser nur verwirren. Eine Faustregel ist, nicht mehr als drei Ebenen zu verwenden: meist genügt sogar eine einzige, wenn man die Überschriften passend formuliert. So kann man etwa die folgenden Überschriften und Unter-Überschriften leicht durch zwei entsprechend formulierte andere ersetzen:

Man kann eine "Ebene" einsparen, wenn man folgende Überschriften wählt: Wenn einmal die Grundstruktur des Aufsatzes festliegt, könnte der Autor auf den Gedanken kommen, dass der größte Teil der Arbeit bereits getan ist. Seine ldeen in Worte umzusetzen, wird oft als Kleinigkeit betrachtet, die keine großen Anstrengungen mehr erfordert. Er könnte argumentieren, dass derjenige Leser, der den Artikel nicht versteht, sich nur besser konzentrieren müsse, weil ja alle notwendige Informationen schwarz auf weiß vorhanden sei. Aber: Es ist Sache des Autors, so zu schreiben, dass man das alles auch versteht?

Der Stil

Der Stil umfaßt normalerweise solche Dinge wie Wortwahl und Satzlänge. Sicher sind das zwei für die Lesbarkeit eines Textes wichtige Dinge. In technischer Literatur bedeutet "Text" aber mehr als die Aneinanderreihung von Ideen; es werden auch solche Hilfsmittel wie Illustrationen, Tabellen oder Formeln angewendet. Auch diese Dinge gehören zum Stil. Welche Darstellungsart am besten geeignet ist, muss der Autor von Fall zu Fall selbst entscheiden. Artikel befassen sich beispielsweise mit elektronischen Schaltungen, und Details gehen immer aus den Schaltbildern selbst hervor. Dies wird von den Lesern auch so erwartet. Jedermann, der einmal versucht hat, eine Plan, eine Werkzeichnung oder ein Schaltbild am Telefon zu erläutern, weiß, wie schwierig das ist. Da aber das Schaltbild alle Details der Schaltung bereits enthält, müssen diese nicht mehr im Text erläutert werden. Es ist nützlich, Besonderheiten der gewählten Schaltungstechnik im Text zu erwähnen. Es verschwendet aber die Zeit von Leser und Autor, den Inhalt einer Zeichnung in Worten zu duplizieren. Ein weiteres Beispiel: Eine mathematische Darlegung ist für entsprechend vorgebildete Leser durchaus annehmbar; Gleichungen ersetzen einen langen und unverständlichen Text. Wenn man das gleiche Thema allerdings für Praktiker beschreibt, dann wird man die Gleichungen besser durch Diagramme und Kurven ersetzen, denn der Techniker ist normalerweise mehr an der Anwendung als an theoretischer Mathematik interessiert.

"Eine gute Illustration ersetzt 500 Worte" - "Wir möchten mindestens ein Bild pro Seite haben" - solche Ratschläge sind wenig wert. In welchem Ausmaß Abbildungen benutzt werden, hängt vom Thema und vom Leserkreis ab. Es gibt tatsächlich Artikel, wo zu viele Bilder fehl am Platze wären. Auch machen zwei Screenshots pro Seite mit fünf bis zehn Zeilen Text dazu sicher kein gutes Handbuch. Eine andere Empfehlung, die sich kaum konsequent verwirklichen läßt, lautet, dass jeder Abschnitt genau einen Teilaspekt des Themas enthalten soll. Einige Gesichtspunkte können in wenigen Zeilen abgehandelt werden, andere füllen ganze Seiten, und es wäre für den Leser ermüdend, solche Seiten ohne jede Zwischenüberschrift zu verarbeiten. Wenn Sie beim Schreiben eine Pause zum Atemholen machen, fügen sie eine Zwischenüberschrift ein!

Es ist ein weitverbreiteter Irrtum zu glauben, dass Artikel mit wissenschaftlichem Anspruch pompöse, nach Gesetzestexten klingende, möglichst aus dem Lateinischen stammende Wörter enthalten müssen. Es kann tatsächlich ein dritter Grund sein, warum sich Ingenieure vor dem Schreiben scheuen, dass sie sich nicht in der Lage fühlen, ein solch hochgestochenes Deutsch zu verfassen. Keine Angst: Um vertrauenswürdig zu sein, muss der Text einfach und direkt klingen. Das hängt unmittelbar mit der Aufgabe von Fachaufsätzen zusammen - nämlich Informationen zu vermitteln. Lange, unübersichtliche Sätze sollten besser in mehrere, kürzere aufgeteilt werden. Komplizierte Wortkonstruktionen wie man sie von Politikern und Richtern erwartet, passen nicht in einen Fachaufsatz.

Es gibt einen einfachen Weg, solche häßlichen Dinge zu vermeiden. Prüfen Sie jedes Wort in jedem Satz daraufhin, ob es irgend etwas zur Information des Lesers beiträgt; wenn nicht, werfen Sie's raus. Eine konsequente Anwendung dieses Prinzips führt allerdings normalerweise dazu, dass eine Art Stakkato-Stil herauskommt, der kaum noch als "flüssig" bezeichnet werden kann; dieses Problem kann aber leicht gelöst werden, wenn man an die Satzanfänge solche Worte wie "aber", "trotzdem", "ebenso" setzt, um die Sätze miteinander zu verbinden. Das widerspricht nicht der eben genannten Regel, dass jedes Wort einen Sinn haben soll; denn auch ein Wort, das ein flüssigeres Lesen gestattet, ist sinnvoll. Die Regeln für einen guten Stil können etwa so zusammengefaßt werden:

Manche Titel sind besser geeignet als andere... und eine falsche Trennung kann den ganzen Sinn ruinieren ("Ur-instinkt" statt "Urin-stinkt", "An-alphabet" statt "anal-phabet"). Auch Groß- und Kleinschreibung ist nicht unwichtig: "Liebe genossen" ist ganz und gar nicht dasselbe wie "liebe Genossen". Der ausgiebige Gebrauch der Rechtschreibprüfung Ihrer Textverarbeitung reicht in der Regel nicht aus, wirklich alle Fehler zu beseitigen!

Sind Sie Richter oder Gutachter? Der sogenannte "Urteilsstil" besteht darin, zuerst das Ergebnis darzustellen, und dann die Gründe, Sachverhalte und sonstigen Gedankengänge, die zu diesem Ergebnis geführt haben, darzustellen. Dabei sollte für jede einzelne Erwägung dargestellt werden, weshalb dies für das zunächst erreichte Ergebnis wichtig ist. Der "Gutachterstil" nennt zuerst Sachverhalte, Gründe, Fakten und andere relevante Tatbestände, begründet für jede einzelne genannte Tatsache deren Relevanz für das Untersuchungsziel, und kommt dann zu einem aus allen genannten Tatbeständen abgeleiteten Urteil. Gutachter- und Urteilsstil sind einander entgegengesetzt und damit inkompatibel.

"Verbauen" und "Einbauen": Von "Verbauen" sprechen echte Ingenieure nur, wenn ein Grundstoff wie Holz, Metall, Beton etc. so umgestaltet wird, dass er später untrennbar mit dem Produkt verbunden ist und seine ursprüngliche Form verliert. "800 Kubikmeter Beton wurden bei dieser Brücke verbaut", ist richtig, weil dieser Beton jetzt die Brücke bildet. Wenn allerdings ein Motor in eine Karosserie eingesetzt wird, wird er natürlich nicht verbaut, sondern eingebaut oder montiert, weil er ja Motor bleibt. Ebenso wird natürlich eine Festplatte nicht in einen Computer verbaut, sondern eingesetzt oder eingebaut. Geschieht so etwas serienmäßig, spricht man vom Ausstatten. Was elektronische Komponenten angeht, so gilt Löten, Kleben oder andere moderne Techniken des Einbauens nie und nimmer als Verbauen.

Passivkonstruktionen

Mit der Verwendung von Passivkonstruktionen verhält es sich ähnlich wie mit dem Einsatz von Nominalisierungen. Das Passiv ist für die Techniksprache teilweise typisch. Da wird angeschlossen, installiert auf "OK" geklickt und so weiter. Durch die Verwendung des Passivs wird eine Aussage entpersonalisiert, d. h. die handelnde Person wird nicht genannt und die Aussage wirkt dadurch scheinbar objektiver. In Aktivkonstruktionen gibt es jeweils eine konkrete handelnde Person (oder Gruppe). Beim Passiv sind die handelnden Personen also nicht wichtig, nicht bekannt oder nicht vorhanden. Das Passiv beschreibt entweder eine Handlung, einen Prozess, einen Zustand oder ein Resultat - und das kommt halt bei Fachartikeln häufig vor. Das Passiv hat noch eine weitere Funktion, die Entpersonalisierung. In Sätzen in denen Sie selbst die handelnde Person wären, können Sie durch die Verwendung des Passivs in den Hintergrund treten und müssen nicht direkt genannt werden.

Manche Autoren halten es auch für schick, von sich selbst nur in der dritten Person zu sprechen. Also "der Autor kommt zum Ergebnis, dass ..." oder "wir meinen, dass ...". Der Zweck dabei ist, Distanz zum behandelten Gegenstand auch mit den Mitteln der Sprache anzudeuten. Wenn Sie eine Doktorarbeit schreiben, mag das angemessen sein; bei Fachaufsätzen steht jedoch ihre eigene Person im Mittelpunkt.

Das "Ich-Tabu" der Passivkonstruktion sollten Sie beim Fachartikel genauso wie die Verwendung der dritten Person über Bord werfen. Schreiben Sie ruhig "Stecken Sie den USB-Dongle an und klicken Sie auf "Ignorieren" wenn die Fehlermeldung auf dem Bildschirm erscheint ...". Mischen Sie ruhig Passiv- und Aktivkonstruktionen bei der Beschreibung komplexer Sachverhalte, das macht den Text nur interessant. Passivkonstruktionen sind also kein Tabu, achten Sie jedoch darauf, sie sinnvoll und nicht inflationär einzusetzen.

Oft zeigt sich im Schlepptau des Passivs die Verwaltungs- oder Behördensprache, bei der Substantive vor aktiven Verben bevorzugt werden (Nominalstil, "Streckverb). Dabei werden Tätigkeiten substantiviert ("zur Anzeige bringen" statt "anzeigen") oder adjektiviert, also durch Eigenschaftswörtern ausgedrückt. Damit klingen sie zwar hoheitsvoller und irgendwie amtlicher. Dafür machen Sie einen Text vor allem weniger verständlich -- so etwas hat in einem Fachartikel nichts zu suchen. Ferner werden beim Amtsdeutsch häufig Substantivketten ("Antrag auf Aufhebung des Bescheides des Ordnungsamtes über die Maßnahme zur ...") und mehrgliedrige Substantive ("Entsorgungsnachweiserbringungspflicht") benutzt, die den Text weiter verschwurbeln.

Du oder Sie

Bei Ikea wird man notorisch und überall geduzt. Das hat aber nichts mit lockeren Manieren oder einer neuen Kumpelhaftigkeit zu tun, sondern ist Teil der Corporate Identity. Weil Ikea ja aus Schweden kommt und die Schweden sich untereinander alle duzen, wird auch der deutsche Kunde geduzt. Auch in meinem Stammlokal werden alle Gäste vom Kellner geduzt, auch dort ist das Teil des Images ("Professoren- und Studentenkneipe"). Wanderer duzen sich beispielsweise oberhalb von 1500 Metern generell. Dieses "Waderer-Du" fällt im Tal wieder weg. Auch duzt man sich in manchen Teilen Süddeutschlands generell häufiger, auch unter Fremden. Ich erinnere mich auch noch an die 80er und 90er Jahre, wo sich auch wildfremde Menschen in Newsgruppen und E-Mails ausschließlich geduzt haben -- weil man sozusagen eine eingeschworene Gemeinschaft war. Auch Blogger duzen ihre Leser gerne und inzwischen findet man das "Du" auch anbiedernd in etlichen Stellenanzeigen. Soll ein Fachautor seine Leser duzen, um z. B. eine größere Nähe herzustellen? Oder ist das eher ein "Einschleimen"? So wird im Buch "Die elektronische Welt mit Raspberry Pi entdecken" der Leser vom Autor Erik Bartmann von Anfang an hemmungslos geduzt. Bei mir stellen sich da zwei Assoziationen ein: Anbiedern an den Leser (Wir sind doch beide Hacker, Maker, Bastler) oder, was schlimmer ist, der Autor schaut auf den Leser herab (Ich weiß bescheid und erkläre Dir die Welt). Ich persönlich finde, dass man als Autor das Duzen auf die Zielgruppe Kinder beschränken sollte.

Gesprochenes und geschriebenes Deutsch

Die eben genannten Stilregeln gelten nur für Geschriebenes. Sie auf das gesprochene Deutsch anzuwenden, wäre ruinös und würde viele von uns für lange Zeit sprachlos machen! Beim Sprechen verwenden wir gewöhnlich viele nichtssagende Phrasen, damit wir Zeit haben nachzudenken, was wir als nächstes sagen. Deswegen kommen im gesprochenen Deutsch solche Dinge vor wie "Sei dem, wie ihm wolle", "Es sei nicht verschwiegen" usw. die ganz nützlich sind. um den Redefluß nicht zu unterbrechen - wenn die besten Redner sie auch vermeiden. Solche Phrasen haben aber auf dem Papier nichts zu suchen, wo sie nur die Fakten überdecken und das Lesen langweilig machen. Ebenso sind Wiederholungen im gesprochenen Deutsch üblicher als im geschriebenen. Ein Lehrer wird seinen Schülern Lehrsätze wohl mehr als einmal vorbeten, und das ist sicher sinnvoll; in Büchern oder Zeitschriften sind allzu häufige Wiederholungen aber unnötig, weil man ja, wenn nötig, wieder zurückblättern kann. Ein zweiter großer Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache liegt, wie oben angedeutet, in den Produktionsbedingungen: Wer schreibt, kann sich normalerweise Zeit lassen, über seine Äußerungen nachdenken, bevor er sie niederschreibt, und sie gegebenenfalls auch später wieder überarbeiten. Mündliche Produktion geschieht demgegenüber in der Regel in sehr kurzer Zeit, und wenn es einmal gesagt ist, lässt sich nicht mehr revidieren.

(Fast) perfekt...

Kein Fachaufsatz wird je die absolute Perfektion erlangen. Es ist immer möglich, die Lesbarkeit und Klarheit der Ausdrucksweise noch zu verbessern, und der Perfektionsgrad wird in erster Linie vom Zeitaufwand des Autors abhängen. Nach jedem Überarbeiten des Artikels wird eine bestimmte Verbesserung erreicht, aber sie wird mit zunehmendem Zeitaufwand immer weniger wahrnehmbar. Die Qualität nähert sich zwar immer mehr der Perfektion, erreicht die Grenze aber nie - ein gutes Argument des Autors gegenüber Kritikern. An welchem Punkt soll man nun mit dem "Polieren" aufhören? Das kann aus rein wirtschaftlichen Überlegungen beantwortet werden: Zwei Artikel mit 70 % Perfektion sind besser als nur einer mit 90 % Perfektion. Wie schon erwähnt, ist es einfach, den Stil zu kritisieren. Tatsächlich sind es oft nur Kleinigkeiten, die an einem Artikel bemängelt werden. Ihre Ausmerzung könnte zwar die Lesbarkeit verbessern, ist aber weniger wichtig als der sachliche Inhalt. Solche Kritik rührt oft daher, dass man zur Beurteilung des Stils den fachlichen Inhalt eines Artikels nicht zu verstehen braucht.

Genauigkeit und Klarheit

Es wurde mehrmals erwähnt, dass Klarheit und Lesbarkeit wichtige Aspekte technischer Literatur sind. Sachliche Exaktheit ist aber ebenso wichtig, und Schwierigkeiten tauchen auf, wenn sich die Forderungen nach Klarheit und Exaktheit begegnen. Welcher Forderung ist der Vorzug zu geben? Die Antwort darauf hängt natürlich vom Thema und von der technischen Vorbildung der Leser ab. In einem Anfänger-Lehrbuch ist es z. B. unvermeidlich, eine Reihe von Ausnahmen und Einschränkungen für Formeln oder physikalische Prinzipien zu erwähnen. Das trägt aber sicher nicht dazu bei, das Verständnis des Lesers zu fördern: in solcher Literatur ist es daher vertretbar, die Klarheit höher als die sachliche Exaktheit zu bewerten. Wenn man aber z. B. bei einer Beschreibung, wie man einen Kilowatt-Sender langsam hochfährt, nicht absolut exakt ist, hat man plötzlich eine Endröhre auf dem Gewissen - hier ist absolute Exaktheit unabdingbar.

Interpunktion

Man sollte alles vermeiden, was den Leser verwirrt. Komplizierte Satzkonstruktionen, deren Gefüge nur noch von Satzzeichen in Ordnung gehalten wird ersetzt man besser durch einfachere Sätze. Ähnliches gilt für die Verwendung zusammengesetzter Super-Worte, wie "Donaudampfschiffahrtsgesellschaftskapitänskajütentisch". Entweder trennt man das Wort so auf, dass es umschrieben wird, z. B. "Kajütentisch in einem Donau-Dampfschiff", oder aber - wenn dies schlecht möglich ist - man verwendet Bindestriche, die das Wort in logische Teile aufspalten. Dazu einige wichtige Punkte:

Rechtschreibung

Ob Sie die neue Rechtschreibung verwenden, ist am Ende immer Ihre Sache. Niemand hat eine rechtliche Handhabe gegen einen Nutzer der alten Ortographie. Unterstützen Sie mit der Rechtschreibung stets Ihre Sachaussage: wenn Sie beispielsweise betont fortschrittlich erscheinen wollen, schreiben Sie nicht "Haß" sondern "Hass", nicht "potentiell" sondern "potenziell", nicht "Delphin" sondern "Delfin" (auch wenn es schwer fällt). Bedenken Sie auch, daß die Rechtschreibreform in die Semantik eingegriffen hat und Bedeutungsverwirrungen entstehen können. "Alleinstehend" bezeichnete früher den Zustand, ohne Partner zu sein, während "allein stehend" meinte, daß jemand ohne eine zweite Person an einer Stelle steht. Jetzt soll aber beides stets getrennt geschrieben werden: Sie können also nicht mehr erkennen, ob "die allein stehende Frau" keinen Partner hat, oder einfach allein am Herd steht.

Silbentrennung

Der Blocksatz ist nicht nur im Alltag verbreitet, sondern auch in vielen Manuskripten. Zwischen den Wörtern klaffen riesige weiße Lücken, die meist größer sind als der Zeilenabstand, weil natürlich keiner die Silbentrennung der Textverarbeitung einschaltet oder sich der Mühe unterzieht, mal selbst von Hand zu trennen. Daher sollte man grundsätzlich linksbündig schreiben. Das gilt insbesondere dort, wo kein professionelles Satzprogramm (z. B. LaTeX) verwendet wird und wo man den Zeilenumbruch händisch reinzeichnet. Viel Textprogramme nehmen, wenn denn die Trennung eingeschaltet ist, auch die nächstbeste Trennung, da kommen dann Dinge heraus wie "Sicherheitsbe-auftragter" (geht noch), oder "Anal-phabet" (geht gar nicht). Dann kommen noch orthografisch falsche Trennungen hinzu, wie man sie täglich in der Zeitung findet. Zusätzlich bereitet das Deutsche mit seinen langen Wortkompositionen Probleme beim Zeilenumbruch. Daher achten Sie bei Schreiben schon auf die Silbentrennung, auch wenn nach redaktioneller Bearbeitung diese vielleicht gar nicht mehr nötig sind. Wenn dann die Umbruchkorrektur kommt, denken Sie daran, auch hier wieder auf die Trennung zu achten. Zeilen ohne Löcher machen den Leser glücklich.

Aufzählungen

Frage: Die Frickelware aus Redmont macht die Anfänge meiner Stichpunkte bei Aufzählungen immer groß. Ich habe aber mal gelernt, dass man sie klein schreibt (weil sie ja keine ganzen Sätze sind).
Antwort: Stichpunkte schreibt man vorne immer klein. Die Autokorrektur von Word oder Powerpoint macht das einfach falsch.

Stichpunktaufzählungen mit oder ohne Aufzählungszeichen sind dagegen keine geschlossenen Aussagen, sondern Glieder eines Hauptsatzes, die sich als Fließtext mit Kommas darstellen lassen: Die Grundfarben des Computerbildschirms sind rot, grün und blau. Um die Aufzählung zu verdeutlichen, verwendet man Spiegelstriche oder Spiegelpunkte), also Stellen, auf die man mit dem Finger zeigen kann. Im Beispiel: Die Grundfarben des Computerbildschirms sind

Achten Sie darauf, daß der Spiegelpunkt ein Leerzeichen Abstand vom Text hat. Das ist typografischer Standard. Eine Stichpunktaufzählung folgt wie im Beispiel oben immer auf einen Doppelpunkt. Aus dieser Syntax ergibt sich, dass Spiegelpunkte vorne klein geschrieben werden, wenn sie nicht mit einem Substantiv beginnen. Im Buchsatz wurden üblicherweise die einzelnen Stichpunkte mit einem Komma oder einem Semikolon beendet. Das Komma steht bei Phrasen (blühende Landschaften,), der Semikolon, wenn der Stichpunkt ein Gliedsatz ist (Blümchen sind blau;). Der letzte Stichpunkt endete mit einem Punkt, weil danach der Fliesstext mit einem neuen Hauptsatz weitergeht.

Abkürzungen

Mit Abkürzungen kann man es auch übertreiben (speziell Fachleute "bewerfen" sich oft mit einer wahren Flut von Abkürzungen), manche sind üblich und kaum erklärungsbedürftig (BRD). Auf jeden Fall sollten Sie alle Abkürzungen, von denen Sie nicht sicher sein können, daß sie der Leser kennt, bei ihrer ersten Verwendung erklären. Das kann mit Fußnoten geschehen oder durch direkte Erläuterung (ISDN = Integrated Services Digital Network).
Ein Akronym ist ein aus den Anfangsbuchstaben einer Bezeichnung oder Redewendung gebildetes Kunstwort und daher eigentlich auch eine Abkürzung. Während Abkürzungen jedoch in Großbuchstaben geschrieben werden (z. B.: ISDN), lassen sich Akronyme wie normale Worte aussprechen, und werden daher auch nicht in Großbuchstaben gesetzt, aber dennoch ggfs. erläutert (z. B. Twain = tool without an important name). Der Unterschied zwischen Akronymen und Abkürzungen ist oft fließend, und läßt Raum für kreative Neuschöpfungen, insbesondere wenn neue Akronyme (wie der sogenannte Aküfi) erfunden oder Nicht-Akronyme, d. h., normale Worte durch Zuweisung neuer Bedeutungen zu solchen erklärt werden (Post = public organisation for supression of technology). Grundsätzlich gilt, dass beim ersten Auftreten der Abkürzung die Langfassung aufgeführt wird (z. B. in Klammern). Danach wird nur noch die Abkürzung verwendet.

Schreibung von Zahlen

Bei Zahlen herrscht oft Verwirrung darüber, ob und wann man sie nun in Ziffern oder in Buchstaben schreiben muss. Die früher gültige Buchdruckerregel, nach der generell die Zahlen von 1 bis 12 in Buchstaben und die Zahlen ab 13 in Ziffern zu schreiben sind, wird heute nicht mehr so streng gesehen. Normalerweise werden die Zahlen von 1 bis 12 überwiegend dann in Ziffern geschrieben, wenn sie zusammen mit dem dazugehörigen Substantiv die Aufmerksamkeit auf sich lenken sollen, z. B.: "2 oben liegende Nockenwellen". Auch vor Zeichen, Abkürzungen von Maßen, Gewichten oder Geldsorten ist die Zahl in Ziffern zu schreiben (3 km, 7,4 kg, 6 EUR). Steht statt der Abkürzung die entsprechende Vollform, kann man sowohl in Ziffern als auch in Buchstaben schreiben.

Andererseits können die Zahlen von 13 an auch ausgeschrieben werden, wie es beispielsweise in erzählenden Texten geschieht: "Zu Ihrem fünfzigsten Geburtstag gratuliere ich Ihnen herzlich." Sonst werden meist nur ein- und zweisilbige Zahlwörter ausgeschrieben (" Mehr als hundert Teilnehmer", "tausend Dank", usw.).

10 Thesen für Fachaufsätze

  1. Lernen Sie von Tageszeitungen und Magazinen, was Aufmachung, Lebendigkeit der Darstellung, Erwecken von Neugierde und Übersichtlichkeit betrifft. Kluge Leute sehen keine Schande darin, hinzuzulernen.
  2. Geben Sie dem Jargon der Spezialisten keine Chance. Ein Wort, das im fünfbändigen Brockhaus nicht zu finden ist, hat auch in einem Fachaufsatz nichts zu suchen.
  3. Lassen Sie in der Kopfzeile, in der Überschrift, in Zwischentiteln erkennen, wovon der Beitrag handelt. Ein Fachaufsatz ist keine Rätselecke.
  4. Geben Sie die Inhaltsübersicht am Anfang und nicht am Schluß: man soll nicht erst vom Rathaus kommen, um klüger zu sein.
  5. Benutzen Sie eher die lockere Sprache der Rede statt des Schriftdeutsches. Selbst Teenies können einem etwas beibringen.
  6. Geben Sie Anregungen durch Beispiele statt durch abstrakte Überlegungen. Überlasse dem Juristen die Zuständigkeit für das, was normale Sterbliche nicht verstehen.
  7. Veröffentlichen Sie nicht unkritisch jede Firmenaussage. Eine Firmenmitteilung ist keine päpstliche Enzyklika.
  8. Das Interesse des Lesers geht vor. Noch immer hat der Tanz nach der Pfeife des Kommerz Schwindelanfälle erzeugt.
  9. Schreiben Sie so kurz wie möglich, aber so ausführlich wie nötig. Die meisten Artikel sind zu lang.
  10. Schreiben Sie nie über etwas, wovon du keine Ahnung hast. Der Club der Scharlatane ist um Mitglieder nicht verlegen.
Mit anderen Worten: Zu viele Abhandlungen fangen noch immer bei Adam und Eva an, viele geben langatmige Einleitungen, bringen Zitate nur deshalb, um ein längeres Literaturverzeichnis anhängen zu können. Am Schluß steht dann eine Zusammenfassung, die so nichtssagend ist, dass sie besser weggeblieben wäre. Was in Lehrbüchern zu finden ist, worauf man im Literaturverzeichnis verweisen kann, braucht im Beitrag nicht zu stehen. Ein Autor sollte sich auf die Darlegung seiner neuen Gedanken konzentrieren.

Nach Ideen von S. W. Amos, K. Duden, H. Feichtiger, H. Laupsien, J. Plate und B. E. Scheuert.

Links

10-Punkte-Text-ÜV