Sind Netze erotisch?

Letzte Woche habe ich im Kino den Internet-Thriller "The Net" gesehen. Alles, was in dem Film passiert, kann tatsächlich jederzeit passieren. Nur eines nicht: Daß ein Computerfreak keine Freunde hat.

In dem Film wird die Indentität einer Hackerin von finsteren Mächten aus allen Computerakten getilgt. Und da sie nie unter Leute geht, sondern immer nur vor dem Computer sitzt, gibt es niemand, der ihre wahre Identität bestätigen könnte. Das ist kompletter Unfug!

Ich habe keine Ahnung, woher dieses Klischee vom einsamen Computerfreak kommt. Wahrscheinlich wurde es von einem computerophoben Soziologen in die Welt gesetzt, der durch einen Bedienungsfehler seine Doktorarbeit von der Festplatte gelöscht hatte und sich jetzt schnell was Neues ausdenken mußte.

Wer Leute übers Internet oder über die heimische Mailbox kennenlernt, wird sich früher oder später auch persönlich mit ihnen treffen. Allein in meiner Heimatmailbox gibt es mindestens 60 Leute, die mich identifizieren könnten. Weil ich mit ihnen schon im Kino, beim Frühstücken oder beim Saufen war - von anderen Aktivitäten ganz zu schweigen ;-).

Computer machen nicht einsam und Netze schon gar nicht. Man merkt sehr schnell, daß man nicht mit Bits und Bytes kommuniziert, sondern mit lebendigen Menschen. Man lernt Menschen kennen, die man sonst nie kennengelernt hätte, denn der erste Kontakt läuft nicht über den sonst allgegenwärtigen optischen Filter. Man sortiert nicht nach Äußerlichkeiten, mit wem man reden möchte und mit wem nicht - ganz einfach, weil man das Äußere nicht sieht. Was man zuerst von seinem Gegenüber sieht, sind dessen Gedanken, Interessen und Wünsche. Für mich ist es unglaublich faszinierend, Menschen auf diese Weise kennenzulernen.

Wenn man sich dann erstmal per Computer etwas berochen hat, trifft man sich auch im wirklichen Leben. Letzte Woche im Kino war ich zum Beispiel mit einem Schüler, einer Biologiestudentin, einem bekifften Raver, einem arbeitslosen Verkäufer und dem Internet-Verantwortlichen einer sehr großen Firma. Für die anderen Kinobesucher waren wir vielleicht eine seltsame Gruppe. Für Mailbox-Benutzer sind solche Treffen ganz normal.

Wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin, schalte ich den Computer nicht aus, sondern stelle per Modem eine Verbindung zu meiner Heimatmailbox her. Dort trifft man sich so gegen 19 Uhr im Chat, der Online-Konferenz, und handelt aus, was diesen Abend angesagt ist. Jeder Teilnehmer an einer solchen Konferenz kann alles lesen, was die anderen Teilnehmer tippen.

Wenn sich keiner aufraffen kann, noch aus dem Haus zu gehen, gibt's eben eine gemütliche Klönrunde vor dem Computer. Dann sitzt jeder Teilnehmer gemütlich mit Tee, Bier, Orangensaft oder Rotwein vor seinem Rechner, und man ratscht per Tastentipp. Oft wird herumgeblödelt, was die Tasten hergeben, aber oft kommt es auch zu sehr persönlichen Gesprächen.

Es ist eben doch etwas anderes, ob man in einer lauten Kneipe sitzt oder friedlich zu Hause. Viele Leute brüllen ihre Beziehungsprobleme nicht so gern über den ganzen Tisch. Auch die Möglichkeit, sich bei Bedarf jederzeit einfach ausklinken zu können, gibt es nur im Cyberspace. So kommt es, daß die Leute in einer Mailbox oft schon nach wenigen Wochen viel mehr über einander wissen als irgendwelche Fußballkumpels oder sonstige Bekannten nach vielen Jahren.

Genau das ist natürlich auch der Grund, warum es so viele Online-Beziehungskisten gibt. Wohl jeder im Netz hat sich schonmal in Zeilen auf einem Bildschirm verliebt. Und manchmal hielt die Liebe dann sogar dem ersten persönlichen Treffen stand. Ich spreche da aus eigener Erfahrung, meine Mailbox-Männer paßten allemal besser zu mir als die Disco-Bekanntschaften meiner Jugend. Der einzige Grund, warum nicht noch viel mehr Beziehungen im Cyberspace beginnen, ist der leider immer noch akute Frauenmangel im Netz.

Und damit ist auch die Eingangsfrage beantwortet: Nicht das Netz ist erotisch, sondern der Mensch am anderen Ende der Leitung. Probieren Sie es aus!

Fredrika Gers